Erste Erd-Mond-Erde Verbindung von Bonn aus

Der Amtsrat und der Mond

(Quelle:Spiegel 33/1958)

Eine aus früheren Zeiten überlieferte Postsekretärs-Devise besagt, daß die Post ihre Kunden nicht „bedient“, sondern „abfertigt“.

Nach dieser in jüngster Zeit freilich in Verruf gekommenen Devise fertigte kürzlich das Bundesministerium für das Post- und Fernmeldewesen in der Koblenzer Straße 81 zu Bonn einen Kunden ab, dessen Pläne und Zukunftsvisionen allem Anschein nach den technisch – wissenschaftlichen Sachverstand der Behörde weit überforderten.

Der Bundespostkunde, Ingenieur Peter Lengrüsser, 33, ist ein in den internationalen Rängen der Raketenexperten bekannter und geschätzter Spezialist für Hochfrequenztechnik. Unter der wissenschaftlichen Leitung des Professors Dr. Friedrich Becker, eines Astronomen der Bonner Universität, führt er von einem Laboratorium hoch über den Dächern der Bundeshauptstadt Bahnmessungen an den von Sowjets und Amerikanern in den Weltraum geschossenen Sputniks und Explorers durch. Dem Professor Becker und seinem technischen Angestellten Peter Lengrüsser verdankt die Universität Bonn, daß ihre Sternwarte an der Poppelsdorfer Allee von der Organisation des „Internationalen Geophysikalischen Jahres“ beauftragt wurde, zusammen mit 23 anderen Stationen Kontrollmessungen an den Erdsatelliten vorzunehmen.

Doch der Ehrgeiz Lengrüssers erschöpft sich nicht darin, täglich fünfmal die Wendeltreppe der Bonner Sternwarte zu erklimmen, um in seinem Turmstübchen das nervöse Piep-Piep der Erdsatelliten auf einen Registrierstreifen zu bannen. Sein Hobby ist das Problem der Nachrichtenübermittlung mit Hilfe von Ultrakurzwellen über interplanetarische Raume hinweg.

Am 20. Mai dieses Jahres gelang es ihm, mittels einer von ihm entwickelten Spezialapparatur, erstmals ununterbrochen über einige Stunden hinweg eine UKW-Funkverbindung zwischen Deutschland und Amerika, genauer zwischen Bonn und Belmar im Staate New Jersey, USA, zu unterhalten. Dabei diente der Mond als Reflektor der Ultrakurzwellen. Wie ein Tennisspieler, der im Training seinen Ball gegen eine Mauer schlägt, so ließ der amerikanische Versuchssender seine Ultrakurzwellen gegen die Mondscheibe prallen und zurückspringen, und Lengrüsser fing die Wellen in seinem Bonner Turmstübchen auf.

Seither steht dieser Bonner Ingenieur mit der staatlichen amerikanischen Versuchsstation im ständigen Erfahrungsaustausch. Er führte mit seinen überseeischen Partnern bereits eine weitere Versuchsreihe durch, wobei sich der Mond als ausgezeichneter Reflektor ultrakurzer Radiowellen erwies.

Lengrüsser hofft sehr, daß die von ihm entwickelte Empfangstechnik mit ultrakurzen Wellen, die er sich patentieren lassen will, eine Nachrichtenübermittlung mit bedeutend geringeren technischen Mitteln ermöglicht, als sie die gleiche Verbindung über Kurzwelle erfordern würde. Insbesondere glaubt er, daß seine Technik für die Navigation im Schiffs- und Luftverkehr wichtig ist, daß sie überdies ermöglicht, Fernsehsignale zu übertragen und auch eine genauere Ortung von Weltraumobjekten wie etwa Erdsatelliten oder Raumraketen vorzunehmen.

Lengrüsser war bei all diesen Versuchen allerdings immer zu einer mehr oder weniger passiven Rolle verurteilt. Er durfte nur empfangen, aber nicht selber zum Monde senden. Die Ergebnisse seiner Beobachtungen mit der amerikanischen Versuchsstation Belmar mußte er umständlich zu Papier bringen und jener Organisation anvertrauen, die seit altersher Nachrichten gegen Zahlung einer Gebühr befördert der Post.

Um mit seinen Versuchen voranzukommen, beantragte nun Lengrüsser am 1. Juli dieses Jahres beim Bundesministerium für das Post- und Fernmeldewesen eine Lizenz für die Einrichtung einer Sendestation, wie sie jeder Rundfunkamateur von der Bundespost erlangen kann. Überdies benötigt Lengrüsser die Zuteilung verschiedener UKW-Frequenzen, die für seine Methode der Bahnbestimmung von Erdsatelliten oder Weltraum-Raketen notwendig sind.

Nach den Bestimmungen der Bundespost ist es nun jedoch notwendig, daß der Antragsteller einer solchen Lizenz Kenntnisse im Morsen nachweist und in der Lage ist, 60 Buchstaben des Morsealphabets pro Minute zu hören und zu geben. Wegen eines Gehörfehlers kann jedoch das Ohr Lengrüssers nicht das „Tempo 60“ im telegraphischen Verkehr aufnehmen. Ihm wurde deshalb bereits mehrmals die Lizenz für den Betrieb eines Amateursenders von der Bundespost verweigert.

Andererseits ist es jedoch heute bei wissenschaftlichen Versuchen, wie Lengrüsser sie durchführen will, üblich, daß sich die Partner des Sprechfunks und nicht des Morse-Alphabets bedienen. Doch wie ein Fahrschüler, der ausgezeichnet sein Automobil beherrscht, aber die Funktion des Differentials nicht erklären kann, vor Zeiten bei der Führerschein-Prüfung durchfiel, so versagte Lengrüsser stets beim Genehmigungsverfahren des Bundespostministeriums für Amateur-Sendelizenzen. Er beherrscht nun einmal nicht das antiquierte und nur noch wenig gebräuchliche Morsealphabet.

Aus ganz besonderem Grund hat Lengrüsser aber Eile, seine Sendelizenz zu erhalten. Amerikanische und sowjetische Wissenschaftler arbeiten zur Zeit mit Hochdruck an dem Projekt, eine Mondrakete zu starten. Experten halten es für möglich; daß eine solche Rakete bereits in der zweiten Hälfte des August abgeschossen wird. Auf einer riesigen elliptischen Bahn soll die Rakete sowohl den Mond als auch unseren Planeten umkreisen.

Ingenieur Lengrüsser hofft, an diesem Objekt sein neues Meß-System besonders erfolgreich erproben zu können. Er und seine Kollegen befürchten nämlich, daß die traditionellen Methoden der Bahnmessung eines Satelliten bei der Ortung einer solchen Superrakete sich als unzureichend erweisen werden. Die amerikanischen Partner Lengrüssers haben ihm bereits einige Spezialapparate nach Bonn geschickt, damit er, wenn die Mondrakete abgeschossen ist, sofort seine Versuche aufnehmen kann.

Doch die Post hatte es nicht so eilig wie die Amerikaner. Die Behörde des Ministers Stücklen reagierte auf „den Antrag Lengrüssers zunächst überhaupt nicht.

Schließlich wandte sich der Ingenieur telephonisch an den Amtsrat Schulz -Schwieder in der Abteilung II (Fernmeldewesen) des Bundespostministeriums und bat ihn, seinen Antrag auf Erteilung einer Sendelizenz beschleunigt zu erledigen. Er begründete seine Bitte mit dem Hinweis, daß die geplanten Versuche mit dem bevorstehenden, Abschuß einer Mondrakete zusammenhängen.

Entrüstete sich der Amtsrat: „Sie wollen mir wohl die Pistole auf die Brust setzen?

So können wir überhaupt nicht verhandeln.“

Mit diesem postalischen Einwand war Lengrüsser verständlicherweise nicht zufrieden. Das Erklimmen von Wendeltreppen von der Bonner Sternwarte her gewohnt, kletterte Lengrüsser die Leiter der Bonner Postbürokratie höher und geriet an den Ministerialrat Arens, der ihm zunächst versprach, sich den Antrag auf Erteilung einer Sendelizenz kommen zu lassen und baldigst Bescheid zu geben. Doch die Akten im Postministerium kreisen anscheinend bedeutend langsamer zwischien den Amtszimmern in der Koblenzer Straße als Sputniks und Explorers um den irdischen Planeten.

Am Dienstag letzter Woche wurde dem Antragsteller Lengrüsser mitgeteilt, daß der Ministerialrat Arens in Urlaub gehe und vorläufig nicht zu sprechen sei. Tags darauf rief der Ingenieur den Ministerialdirektor und Diplomingenieur Otto Kirchner, den Vorgesetzen des Amtsrats und des Ministerialrats, an und bat in höflichen Worten um Auskunft, wie es um seine Lizenz stehe. Doch auch der Ministerialdirektor zeigte sich von planetarischen Ereignissen, wie etwa dem Start einer Mondrakete, keineswegs beeindruckt: „Nein, Sie bekommen sie (die Lizenz) vorläufig nicht.

Wir müssen uns ja sichern, damit nicht Sachen passieren, die nicht zugelassen werden können.“

Am Donnerstag letzter Woche erhielt Lengrüsser durch den Briefträger den Bescheid, daß sein Antrag auf Erteilung einer Amateur-Sendelizenz abgelehnt sei.

Derselbe Briefträger überbrachte dem Lengrüsser einen Brief aus den Vereinigten Staaten: Der Repräsentant einer amerikanischen Industriegruppe forderte den Bonner Ingenieur unter Bezugnahme auf dessen Schwierigkeiten mit dem Bundespostministerium auf, nach Amerika zu kommen, „da wir Ihre früheste Ankunft in den USA als wichtig im Interesse des amerikanischen Verteidigungssystems betrachten“.